ich danke Ihnen zunächst einmal herzlich für die Einladung zu dieser wichtigen Zusammenkunft zu diesem überaus wichtigen Thema. Auch danke ich für die Möglichkeit, dazu ein Statement abzugeben.
Als Vertreter der größten deutsch-türkischen Migrantenorganisation und Religionsgemeinschaft, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, DITIB, möchte ich zum Ausdruck bringen, dass wir die Arbeit der OSCE nachhaltig unterstützen. In meinem kurzen Statement möchte ich auf einige Punkte hinweisen.
Wie Sie sicherlich auch der internationalen Presse entnehmen konnten, bekommen wir durch den Prozess zur Aufklärung der Verbrechen des so genannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“, kurz „NSU“ sehr deutlich vor Augen geführt, wie weitreichend die Auswirkungen von rechter und rassistischer Gewalt sein können. Hierbei geht es nicht allein um die gezielte Hinrichtung von 8 Migranten und einer Polizistin, die über 10 Jahre hinweg als „Dönermorde“ nicht aufgeklärt wurden.
Es geht auch um das Behördenversagen in dieser Tatserie, auch um den Umgang mit diesen Taten im Rahmen der Aufklärung, der Beweisvernichtung und –sicherung und dem laufenden Gerichtsverfahren, das ebenfalls im Vorfeld von Pannen begleitet war. Viele Irrungen und Wirrungen um diesen NSU-Terror hätten durch sachgerechte Handhabung, Fahndung und Kommunikation vermieden werden können. Unzulänglichkeiten einzelner Beamten und Behörden, aber auch die „Blindheit auf dem rechten Auge“ haben das Ihrige dazu beitragen.
Gleichzeitig blicken wir genau in diesen Tagen auf die vor 20 Jahren verübten Anschläge von Solingen, Mölln, Rostock und Hoyerswerda zurück und gedenken der Opfer und ihrer Angehörigen. Diese menschenverachtenden Taten sind auch vor dem Hintergrund des politischen und sozialen Gesamtkontexts entstanden.
Diese einschneidenden Ereignisse betrafen zwar in erster Linie und unmittelbar die migrantischen Gemeinschaften, prägten aber auch die gesamte Mehrheitsgesellschaft mit. Sie prägen die Migrationsgeschichte unserer Gesellschaft, zu der leider immer noch auch Ausgrenzungs- und Rassismuserfahrungen gehören.
Nach den aktuellen vorläufigen Zahlen des Bundesinnenministeriums zeichne sich bei den politisch rechts motivierten Straftaten ein Anstieg um vier Prozent auf rund 17.600 ab. Davon sind mindestens 840 Gewalttaten.
Erst gestern haben die DITIB und der KRM eine Meldung dazu veröffentlich, dass es erneut alleine im Mai vier neue Übergriffe auf Moscheen gab, verbunden mit einer Drohung als Wandschmiererei „NSU lebt weiter und ihr werdet die nächsten Opfer sein!!!“
Das verdeutlicht uns, dass rechtsradikale und rassistische Gewalt leider zur Realität auch in Deutschland gehören. Islamfeindlichkeit, Übergriffe auf Moscheen und Muslime sind eine neue Facette dessen. Die von dieser Gewalt betroffenen Opfer benötigen Hilfe und Unterstützung aus Politik, Staat und Zivilgesellschaft.
Aber Migranten und Muslime brauchen mehr denn je vor Allem ein Bewusstsein und eine starke Haltung gegen Xenophobie und Rassismus aus Politik, Staat und Zivilgesellschaft. Dies vermissen wir zu oft. Leider.
Interessant ist ja eigentlich, dass die Begrifflichkeiten und die Etiketten sich über die Jahrzehnte ändern mögen, die Schublade, in die Menschen durch diese xenophoben und rassistischen Haltungen gesteckt werden, bleiben dieselben: „R-Ausländer“.
Wenn von Islamfeindlichkeit gesprochen wird, klingt dies scheinbar tolerabel. Aber im Alltagsleben drückt sich dies in Muslimfeindlichkeit aus. Sie trifft Menschen. Dass diese Menschen eben meist auch Migranten sind, ist darin kein Zufall. Um Mechanismen der Ausgrenzung, Diskriminierung und Stigmatisierung aufzubrechen, muss man selbige bewusst machen, benennen und auch belangen.
Diesbezüglich sind natürlich auch Publikationen des OSZE lobend zu erwähnen, die pädagogische Zugänge und regulative Ansätze für Gesetze gegen “Hate Crime“ zu suchen.
Im Fall des SPD-Politikers Sarrazin ist der Bedarf dafür sehr deutlich geworden: erst durch das Urteil und die Rüge des UNO-Anti-Rassismusausschusses CERD wurde die xenophob-rassistischen Äußerungen benannt. Die deutsche Staatsanwaltschaft hingegen hatte im Vorfeld diese rassistische Hetze als von Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit geschützte Äußerungen eingestuft.
Durch solches Verhalten wird öffentliche Meinung gemacht, reproduziert und geschützt. So kann ein gesellschaftliches Klima entstehen, das sich explizit xenophob aufheizt.
In der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) „Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012“ wird deutlich, dass 70 Prozent aller Befragten mit islamkritischer Sichtweise zusätzlich auch Ressentiments gegenüber dem Islam pflegen. Die Grenzen zwischen Islamkritik, Islam- und Muslimfeindlichkeit und Rassismus sind folglich fließend.
Die Studie stellt fest, dass Rechtsextremismus und Muslimfeindlichkeit nicht ein Problem von Menschen in bestimmten geographischen Landesteilen oder von politisch-ideologisch festgelegten Personen ist, sondern dass diese menschenverachtenden Denkstrukturen in die Mitte der deutschen Bevölkerung eingedrungen sind. Wir haben es schließlich mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun, das in allen Schichten vorherrscht und weder politische, noch geographische oder bildungsabhängige Grenzen kennt.
Für ein gesamtgesellschaftliches Problem dieser Dimension braucht es immer verschiedene Akteure – auch staatliche.
Seit Gründung der Deutschen Islamkonferenz 2006 wurde auf Drängen der teilnehmenden muslimischen Verbände erstmalig 2013 ein Symposium zu Rechtsextremismus, Rassismus und Islamfeindlichkeit veranstaltet. Dies zeigt, dass muslimische Bürger eines Landes durchaus unter sicherheitsrelevanten und defizitären Aspekten in Arbeiten betrachtet werden, viel zu selten allerdings als verantwortungsbewusste, gleichberechtigte und schutzbedürftige Bürger dieses Landes.
Wenn der deutsche Staat beispielsweise im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz Muslime und Migranten dauerhaft als allein kulturell und religiös andersartige Menschen behandelt, die einen zu integrierenden Sonderfall darstellen, und darin selber Terminologien setzt, die ebenfalls ausgrenzend und stigmatisierend sind, dann nimmt der Staat die Rolle eines gesellschaftlichen Katalysators nicht umfassend ein. Vielmehr stellen wir als größte NGO der Muslime und Migranten in Deutschland fest, dass Migranten und Muslime von Staat und Ministerien vordergründig unter defizitären und sicherheitsrelevanten Aspekten betrachtet werden. So ist es nicht verwunderlich, wenn der aktuelle Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung feststellt, dass 50 Prozent der Deutschen den Islam als Bedrohung empfinden, und zudem 50 Prozent überzeugt sind, dass der Islam nicht nach Deutschland passt.
Meine sehr geehrte Damen und Herren,
Diese Situationsbeschreibung soll jedoch nicht ausblenden, dass es aber auch Fortschritte in Deutschland gibt. Beispielsweise wurden zwischen einigen Bundesländern / Stadtstaaten und den muslimischen Religionsgemeinschaften Staatsvereinbarungen getroffen. Auch wenn die Verträge nicht einer vollständigen Gleichstellung mit den übrigen anerkannten Religionsgemeinschaften im Lande entsprechen, führt der Weg in eine richtige Richtung.
Der Fortbestand der institutionellen Kooperation zwischen Migrantenorganisationen, den muslimischen Religionsgemeinschaften und der Bundesregierung in Form von Dialogplattformen sind der richtige Weg. Nur so können Ergebnisse erzielt werden. Die Etablierung von Lehrstühlen für Studien der islamische Theologie, die Ausbildung von Religionslehrern, Weiterbildung von Imamen an staatlichen Universitäten sowie Einführung des islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Schulfach in öffentlichen Schulen und Zusammenarbeit in den Beiräten und verschiedenen Gremien sind Früchte dieser institutionellen Kooperation zwischen Politik und Migranten-/ muslimischen Organisationen.
Wir brauchen allerdings mehr noch: neben der symbolischen Partizipation und Vertretung auf den entsprechenden politischen Ebenen, darf eine gelebte Partizipation von Migranten und Muslimen vor den Amtsstuben nicht Halt machen, darf nicht an bekenntnisorientierten Hürden vor Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen und Wohlfahrtsorganisationen scheitern. Integration braucht Integrationskultur, aber mindestens so sehr auch eine Integrationsstruktur, die sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen wiederspiegelt.
Erst wenn religiöse und kulturelle Grenzziehungen einer Gesellschaft fallen, kann dem ein gesellschaftliches Klima erwachsen, das Menschen nicht per Geburt aufgrund von Herkunft und Religion etikettiert, systematisiert und damit in seiner freien Entfaltung hemmt.
Erst wenn gesellschaftliche, soziale und politische Strukturen sich öffnen und bereit sind, alle Bürger dieses Landes, auch Migranten oder Muslime, aufzunehmen, dann erst wird die Blindheit auf dem rechten Auge abnehmen. Dann werden rassistische und xenophobe Serientäter in Schranken gewiesen, dann wird dieser menschenverachtenden Geisteshaltung der Nährboden entzogen und damit braune Sümpfe und xenophobe Sickergruben trocken gelegt.
Mit dieser Hoffnung möchte ich meine Betrachtung beenden und allen Interessierten danken!
Bekir ALBOGA
Vorstand DITIB-Dachverband/-Bundesverband
Chairman DITIB Umbrella Organisation / Federal Association
OSCE High-Level Conference on Tolerance and Non-Discrimination (21-22.05.2013)
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