DITIB Landesverbände Stellungsnahme

 

Stellungnahme zum „Antiradikalisierungsprogramm“ des Niedersächsischen Innenministeriums


Herr Innenminister Schünemann hat nun nach einer Phase von fast einem Jahr den Abschlussbericht
mit Handlungskonzept und Kabinettsvorlage der Öffentlichkeit mitgeteilt.

Dem als „einzigartig in der Bundesrepublik“ angepriesenen Projekt stehen wir sehr skeptisch gegenüber. Herr Schünemann möchte junge Muslime, die sich selbst radikalisieren, erreichen, insbesondere über Hinweise aus dem Sozial- und Arbeits-Umfeld, also auch aus Moscheegemeinden.

Herr Schünemann hat damit leider immer noch nicht realisiert, dass diese Menschen nicht in unseren Moscheegemeinden anzutreffen sind. Wir haben erhofft, dass seine vergangene ergebnislose „Präventivmaßnahme“, die verdachtsunabhängigen Moscheekontrollen, ihm gezeigt hätten, dass damit das Vertrauen der Moscheegemeinden verspielt wurde. Insbesondere weil er auch damals schon damit warb, dass er auch dafür angeblich die Zustimmung der Islamischen Religionsgemeinschaften habe. Dies hatte er de facto sowohl zu den verdachtsunabhängigen Moscheekontrollen, als auch bei vorliegendem Handlungskonzept nicht.

Die Islamischen Religionsgemeinschaften sitzen seit Jahren gemeinsam mit den Niedersächsischen Sicherheitsbehörden an einem Tisch. Für uns ist es wichtig, gemeinsam Konzepte zu entwickeln und diese umzusetzen. Insbesondere wenn es um die Sensibilisierung und Aufklärung der Sicherheitsbehörden und der Mehrheitsgesellschaft geht. Allerdings muss dies im gegenseitigen Respekt, einem angemessenen Procedere und auf entsprechender Augenhöhe geschehen.

Richtig ist, dass die Islamischen Religionsgemeinschaften ab einem gewissen Zeitpunkt auf ihr Drängen hin eingeladen worden sind. Nur zufällig haben die Islamischen Religionsgemeinschaften nach einer lange verstrichenen Arbeitsphase von den Arbeits- und Projektgruppen überhaupt erst erfahren. Bedenken, Kritik und Vorschläge, die darin geäußert wurden, wurden gänzlich außer Acht gelassen. Daher ist es grundlegend falsch, dass die Islamischen Religionsgemeinschaften dieses Handlungskonzept mitgestaltet oder mittragen hätten.

Wir sehen in dieser Vorgehensweise nichts anderes, als wieder falsche Annahmen, Fehlinformationen und Vorurteile als Tatsache zu vermitteln, angeblich gemeinschaftlich getragene Konzepte vorzustellen und darin die Islamischen Gemeinden lediglich zu instrumentalisieren.

Es ist nochmals ausdrücklich zu betonen, dass das Handlungskonzept nicht gemeinsam mit den Islamischen Religionsgemeinschaften entwickelt oder gar verabschiedet worden ist. Denn erst auf unsere Anfrage hin haben wir ohne vorherige Einsicht Kenntnis von der Fertigstellung des Konzeptes erhalten. Somit wurden der Einladung des Innenministeriums zu einem gemeinsamen Auftritt in der Landespressekonferenz folglich auch nicht entsprochen, würde dies doch zu einer öffentlichen Fehlinterpretation dieser Arbeiten führen.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass es abschreckend wirken wird, wenn die Federführung beim Verfassungsschutz bleibt. Leider hat dieser durch die letzten schrecklichen Ereignisse in Bezug auf den rechtsradikalen Terrorismus große Verluste an Vertrauen –nicht nur unter den Muslimeneinstecken müssen. Und wenn man den ähnlichen Weg wie beim Inlandsgeheimdienst gegen Rechtsextremisten einschlagen möchte, dann möchten wir betonen, dass dieser Schuss schon mehr als einmal nach hinten losgegangen ist.

Wir sehen die konkrete Gefahr darin, dass der gesamtgesellschaftliche Frieden in Niedersachen durch solche unbedachten Schritte nachhaltig gestört wird. Diese Arbeiten sind einerseits rechtlich bedenklich, anderseits entsprechen sie einem politischen Taktieren, das dem Ethos der Demokratie und den Grundlagen einer offenen, pluralistischen Gesellschaft widerspricht, indem es aus unserer Perspektive zunehmend den Zug einer Einschüchterungspolitik trägt.

So empfindet sich die breite Masse der Muslime in Niedersachsen dadurch wieder mal unter Generalverdacht gestellt, pauschal vorverurteilt und politischem Populismus ausgeliefert. In konkreten, nachweisbaren Fällen unterstützen wir die Ahndung geplanter oder vollzogener terroristischer Taten unter voller Ausschöpfung der strafrechtlichen Möglichkeiten. Unter dem Deckmantel der Prävention wird hier jedoch ein breit angelegtes Denunziantentum als Netz über Gesellschaft, Wirtschaft und Institutionen gespannt und erschüttert damit das Fundament unserer Gesellschaft.

Diese Art von ländertragender Politik lehnen wir ausdrücklich ab, da sie geeignet sind, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, dass es angesichts der vielen verschiedenen Erfahrungen dieses Landes zu bekämpfen gilt. Es wäre bedenklich, wenn aus Niedersachsen diese Taktieren auf das gesamte Bundesgebiet ausstrahlen und ihren bedenklichen Niederschlag im Soziopolitischen fände.
2012-03-08