Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich hatte zum 29.11.2011 muslimische Dach-Verbände und ihre Spitzenvertreter zu einem Gespräch anlässlich der rechtsextremistischen Mordserie nach Berlin eingeladen. Geladen von Bundesinnenminister Friedrich unter Beiseins von Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm nahmen weiter Prof. Dr. Ali Dere (Vorsitzender des Dachverbandes der Türkisch-Islamischen Union, kurz DITIB), Aiman Mazyek (Vorsitzender des Dachverbandes des Zentralrat der Muslime in Deutschland, kurz ZMD), Mustafa Imal (Vorsitzender des Verband der Islamischen Kulturzentren, kurz VIKZ), Abdelkader Rafoud (Vorsitzender Zentralrat der Marokkaner in Deutschland, kurz ZMaD) und Dr. Bernes Alihodžić (Vorsitzender Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland, kurz IGBD) teil.
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Das Treffen verlief in einer angemessenen und vertraulichen Atmosphäre. Allgemeine sachbezogene Informationen zum aktuellen Wissens- und Ermittlungsstand wurden durch den Hausherren Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich erläutert. Die im Vorfeld der Zusammenkunft bereits in verschiedenen Formen geäußerte Fragen und Bedenken der muslimischen Dachverbände in Pressemeldungen, offenen Briefen und Stellungnahmen konnten in diesem Rahmen Bezug nehmend auf aktuellsten Entwicklungen und Streuweite und –tiefe dieses rechtsextremistischen Terrors vorgetragen werden.
Darüber hinaus wurde den Spitzenvertretern der Migrantenverbände und muslimischen Glaubens-gemeinschaften gegenüber klar kommuniziert, dass es gerade in Anbetracht der Vorkommnisse und Verstrickungen das erschütterte Vertrauen durch lückenlose Aufklärung und Beantwortung vieler offener Fragen wieder herzustellen gilt. Das Ministerium und entsprechende Stellen wolle mit Entschlossenheit aufklären, diesbezüglich in alle Richtungen ermitteln und eine entsprechend umfassende und lückenlose Aufklärung leisten.
Herr Prof. Dere betonte im Gespräch, „dass dieser rechte Terror und die notwendige Aufklärung gleichermaßen von größtem Interesse für Staat und Gesellschaft, Einheimisch wie auch Migranten gleichermaßen ist, um Quellen der Angst und Verunsicherungen nachhaltig zu beseitigen. Aus dieser tief erschütternde, systematische Mordserie und der beleitenden Ermittlungspannen sollen ohne Verzögerung ebenfalls Lehren gezogen werden und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.“
Das NPD-Verbot als eine mögliche Maßnahme stand in diesen Gesprächen nicht im Vordergrund, auch wenn dies derzeit in den Medien und der Politik diskutiert wird. Bei den Maßnahmen ging es im Gespräch im Allgemeinen um die aktuellen rechts-terroristischen Taten und der notwendigen Antworten und Reaktionen, die notwendige Tiefe, Grundsätz-lichkeit und Nachhaltigkeit aufweisen müssen. Natürlich muss aber diesbezüglich auch über Unter-stützer, rechte Netzwerke und Hintergründe geredet und eine umfassende Analyse angestrebt werden.
Wichtig ist hierin, dass das Gemeinwohl und das friedliche Miteinander gefährdende Gedankengut oder Ideologien nicht allein in der Auflösung oder dem Verbot ihrer evidenten Auswüchsen und Organisationen zu begegnen ist. Vielmehr muss dies von innen heraus aus dem schädlichen Selbstverständnis und der Selbst- und Fremd-Wahrnehmung heraus resultierend eine reflektive, heilende Auseinandersetzung damit ermöglicht werden. Solange dies nicht stattfindet und diese menschenverachtende Ideologie weiterhin in verschiedenen Formen und Formierungen aktiv ist und Ausdruck findet, werden sie auch damit künftig die Menschen und dieses Land tief treffen und erschüttern.
Prof. Ali Dere, Vorsitzender des DITIB-Dachverband, sagt dazu: „Daher gilt es, diesem menschen-verachtenden, zerstörerischen Gedankengut mit Entschlossenheit und Courage entgegenzustehen. Sich dieser gesellschaftlichen Herausforderung nach dem Selbstverständnis einer jeden Demokratie unbeirrt in Standhaftigkeit entgegen zu stellen, ist der Prüfstein einer jeden humanistischen, aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft.
Unser Wunsch und Bestreben ist es, dass Tätern und Ideologien jeglicher Couleur, die den Menschen nach dem Leben trachten und ungeniert systematische Mordtaten verüben, keinerlei Unterstützung erfahren und ihnen jeglicher Nährboden entzogen wird.
Dies in der Hoffung und dem Selbstanspruch, aber auch dem Versprechen, dass an der Menschlichkeit, Aufgeklärtheit und Solidarität für- und miteinander der Gesellschaft kein Zweifel besteht. Und darin tragen insbesondere Politik, Parteien und Zivilgesellschaft mit all ihren relevanten Akteuren in einer Demokratie gleichermaßen Verantwortung.“
Im Vordergrund der Gespräche standen die lückenlose Aufklärung und die Entschlossenheit, mit dem diesem Rechtsterror begegnet wird. Lückenlose Aufklärung darf in diesem Fall jedoch nicht nur die Aufklärung der unfassbaren Morde und der dahinter stehenden Täter umfassen, sondern insbesondere auch die konkreten Sicherheits- und Präventivmaßnahmen, die man ergreifen wird, damit sich gleiches bzw. vergleichbares nicht wiederholt. „Dies macht im Bedarfsfall eben auch rechtliche und institutionelle Korrekturen oder Veränderungen notwendig. Außerhalb dieses Rahmens sind jedoch auch soziale und kulturelle Hintergründe zu analysieren, die geeignet sind, diese präventiven Maßnahmen zu unterstützen und nachhaltig zu fördern.“, so Prof. Ali Dere.
Darüber hinaus zeigen auch diese erschreckende Entwicklungen und Verstrickungen inzwischen, dass sich aus der derzeitigen Perspektive über das lokalen und nationalen weit hinaus eine internationale Betrachtung notwendig ist. Aber auch, dass staatstragende Politiken und gesellschaftliche Wahrnehmung und Einsichten sich den Migranten und Muslimen gegenüber nicht defizitär und problemzentriert nähern, da dadurch diese rechten Gesinnungen mit ihren rechten Terroristischen Auswüchsen indirekt und verhohlen Auftrieb und Bestätigung erhalten.
Prof. Ali Dere konkretisiert weiter, dass aus diesem Grunde auch eine inhaltlich anders orientierte, ebenfalls in den Begrifflichkeiten und Zuschreibungen sensiblere Integrationsbemühungen durch den Staat und die Politik notwendig sind. „Konkret habe ich im Namen der DITIB daher die Gründung eines Kommission für Migrantenrechte und Religionsfreiheit unter Teilnahme der Migranten- und Religionsverbände angeregt, um Rechtsverletzungen diesbezüglich besser erfassen, entsprechende Entwicklungen nachzeichnen und notwendige Schritte frühzeitig initiieren zu können. Insbesondere in Anbetracht der zunehmenden Übergriffe auf muslimische Gotteshäuser in den letzten Jahren scheint dies notwendiger denn je: Einerseits waren viele Moscheen aus unserem Dach-Verband auf der Terroristen-Liste, anderseits gibt es bezüglich Moscheeübergriffe keine offizielle Statistiken bzw. keine Datenerfassung.
Daran, wie wir diese gemeinsame gesellschaftliche Herausforderung durch diese rechtsextremistische Mordserie gemeinsam angehen, werden nicht nur das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und die Sicherheitsorgane bestimmt, sondern werden sich auch in unser aller zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Solidarität weit über die Ländergrenze hinaus messen lassen müssen. Die klare Botschaft muss daher heißen, dass in unserer Gesellschaft kein Platz für menschenverachtende Täter und Taten ist, dass sich so etwas nicht wiederholen darf – und auch nicht wird!“
Hinweis:
Aus aktuellem Anlass richtete das Bundesinnenministerium auch als Antwort auf diese Besorgnisse eine Hotline beim Bundeskriminalamt ein. Menschen, die sich durch rechtsextremistische Gewalt bedroht oder gefährdet sehen können sich an die zentrale Anlaufstelle unter der Telefonnummer 02225-8924240 wenden. Das Bundeskriminalamt nimmt entsprechende Hinweise auf und leitet diese an die zuständigen Landespolizeibehörden weiter. Bei akuter, konkreter Gefahr gilt weiterhin die Notrufnummer 110, um das Risiko durch Zeitverzug zu verhindern.
Pressestelle DITIB-Dachverband