2016-09-05 | Pressemeldung
Stellungnahme des DITIB-Landesverband NRW über die Beendigung der Zusammenarbeit im Präventionsprogramm „Wegweiser“ des NRW-Innenministeriums
Köln, 05.09.2016: Mit großem Bedauern und ebenso großer Verwunderung verfolgen wir die aktuelle Berichterstattung zu der Beendigung unserer Mitarbeit beim Präventionsprogramm „Wegweiser“ in NRW. Die Zusammenarbeit ist unter Befürwortung des NRW-Innenministeriums zustande gekommen. Nicht etwa die praktischen Arbeiten oder neu Erkenntnisse, sondern allein ein „Comic“ aus der Türkei war dem NRW-Innenministerium Vorwand genug, die Zusammenarbeit trotz eindeutiger Stellungnahme des Landesverbandes beenden zu können. Die in den Berichten zitierten Erklärungen des Innenministers Jäger (die uns nicht vorliegt) sind daher unvollständig und dazu geeignet, falsche Schlussfolgerungen nahezulegen.
Es hat zu keinem Zeitpunkt eine Kündigung der Zusammenarbeit durch das Innenministerium gegeben. Die Zusammenarbeit ist einvernehmlich beendet worden.
Anfang April 2016 hat das Innenministerium unseren Landesverband zur Stellungnahme hinsichtlich eines Comics aus der Türkei aufgefordert, welches jetzt -5 Monate später- auch in der aktuellen Berichterstattung zitiert wird.
Unser Landesverband hat in einer schriftlichen Stellungnahme vom 08.04.2016 u.a. dazu folgendes erklärt:
Der im Comic behandelte Begriff „Şehit“ ist mit derart komplexen religiös-rechtlichen Fragen zu Notwehr-, Nothilfe- und Ausnahmesituationen verbunden, dass ihre Thematisierung sich aus unserer Sicht nicht für die religiöse Unterweisung von Kindern eignet.
Die Veröffentlichung wird deshalb auch nicht im DITIB-Landesverband NRW zu Bildungszwecken eingesetzt.
Die Publikation durch die Diyanet erfolgte anlässlich des in der Türkei als Feiertag begangenen „Tag der Gefallenen“. An diesem Tag wird den Kriegsgefallenen, insbesondere jenen bei der Gallipoli-Invasion während des Ersten Weltkrieges, gedacht. Er wird als Gedenktag für alle Kriegsopfer und Gefallenen begangen. Er entspricht in seiner Bedeutung des in Deutschland begangenen Volkstrauertages.
Die Veröffentlichung in der Türkei kann vor dem Hintergrund des Gedenktages und der aktuellen Terroranschläge als ein Versuch gesehen werden, Kindern das Schicksal der im Krieg und bei Terroranschlägen getöteten Opfer zu erläutern und ihnen Trost zu spenden.
Wir haben als Landesverband betont, dass es sicher kontrovers diskutiert werden kann, ob eine solche Thematisierung pädagogisch sinnvoll ist. Ebenso haben wir betont, dass es unbedingt vermieden werden muss, Gewalt oder Folgen von Gewalt in einer glorifizierenden Weise darzustellen.
Aus den vorgenannten Gründen fand und findet eine Verwendung dieses Comics in Gemeinden des DITIB-Landesverbands NRW nicht statt.
In einem Gespräch am 20.06.2016 mit den Zuständigen des „Wegweiser“ Programms in den Räumlichkeiten des Innenministeriums wurde uns dargelegt, dass die Zusammenarbeit aus nicht unmittelbar bei dem DITIB-Landesverband liegenden Gründen beendet werden soll. Das Wegweiser-Programm stehe unter derart großem politischen Druck, dass eine zusätzliche Diskussion über diesen Diyanet-Comic und die Trägerschaft durch den DITIB-Landesverband vermieden werden solle, um die Weiterführung des gesamten Wegweiser-Programms nicht zu gefährden.
Als Landesverband haben wir darauf hingewiesen, dass es die Aufgabe einer Religionsgemeinschaft in der Präventionsarbeit sein muss, islamische Begrifflichkeiten nicht aufzugeben oder zu negieren, sondern ihre Deutungshoheit nicht Extremisten zu überlassen. Nicht der Begriff des „Şehit“ ist problematisch, sondern sein Missbrauch durch Extremisten. Als Religionsgemeinschaft müssen wir uns gerade dafür einsetzen, die Deutungshoheit über islamische Begriffe so zu nutzen, dass ihr Missbrauch für den Extremismus unmöglich wird. Diese Diskussion waren wir bereit zu führen. Diese Diskussion hätte unserer Auffassung nach unbedingt im Rahmen der Präventionsarbeit geführt werden müssen.
Aus nicht in der DITIB liegenden, vornehmlich politischen Gründen war das Innenministerium nicht dazu bereit, diese öffentliche Diskussion zu führen. Unter diesen Umständen hat unser DITIB-Landesverband keinen Sinn in der Fortsetzung der Zusammenarbeit mehr sehen können und sich dafür ausgesprochen, die Zusammenarbeit einvernehmlich zu beenden.
Als Landesverband, deren Gemeinden seit über 30 Jahren wertvolle Arbeit in ihren Stadtgemeinden leisten und sich stets für das friedliche und gedeihliche Zusammenleben eingesetzt haben, empfinden wir diese Entwicklung und die neuerliche missverständliche und verzerrende Darstellung des Sachverhalts in den ministeriellen Verlautbarungen als einen gravierenden Vertrauensbruch. Er hinterlässt immensen Schaden zu Lasten der Präventionsarbeit. Diese wird der DITIB-Landesverband nun ausschließlich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ohne das Innenministerium fortsetzen.
Erst in der vergangenen Woche gab es aus ministeriellen Kreisen das eindeutige Bekenntnis zu einer unveränderten, weiterhin positiven Zusammenarbeit im Bereich des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen mit dem DITIB-Landesverband und den anderen drei, im religiösen Beirat des islamischen Religionsunterrichts vertretenen islamischen Religionsgemeinschaften. Zu keinem Zeitpunkt war die einvernehmliche Beendigung der Zusammenarbeit im Programm Wegweiser Ende Juni 2016 von Relevanz für die Zusammenarbeit in anderen Bereichen. Dass nun in den aktuellen Berichten Regierungskreise mit anderen Andeutungen zitiert werden, stärkt nicht das Vertrauen in die Arbeit der Landespolitik.
Vorstand
DITIB-Landesverband NRW