Rubrik: Islam in Deutschland
11.08.2015: Replik von Murat Kayman (DITIB) auf einen WELT-Beitrag über den Islamischen Religionsunterricht und das fragwürdige Gutachten von Abdel-Hakim Ourghi "Niemand weiß was im Islamunterricht passiert"
Liebe Frau Peters, Sie haben am vergangenen Sonntag noch einmal nachgelegt und mit dem geänderten Titel Ihres Artikels „Niemand weiß, was im Islamunterricht passiert“ für einen noch bedrohlicheren, noch verschwörerischen Effekt gesorgt. Ich bin darüber sehr verwundert. Gerade auch deshalb, weil ich Ihnen meinen Gesprächswunsch und meine kritische Wahrnehmung Ihres Textes deutlich zum Ausdruck gebracht habe und meine Kontaktdaten Ihnen bekannt sind. Sie hatten bislang kein Interesse an einem kritischen Dialog mit mir. Der Artikel enthält aber an so vielen Stellen problematische Formulierungen, dass ich sie nicht länger unkommentiert lassen kann. Problematisch insbesondere deshalb, da ganz offensichtlich eine tendenziöse und verzerrende Wahrnehmung bei den Lesern intendiert wird.
Auf einige Stellen will ich näher eingehen, in der mittlerweile sehr verhaltenen Hoffnung, dass meine Erwiderung redaktionelle Berücksichtigung findet: Bereits der Titel ist angesichts der tatsächlichen Verhältnisse – mit Verlaub – absurd. Der Religionsunterricht wird von Beamten des Landes Hessen oder in entsprechenden Dienstverhältnissen angestellten Lehrkräften erteilt. Damit stehen diese Lehrkräfte und der gesamte Unterricht unter der Aufsicht des Landes Hessen. Wenn jemand also nicht weiß, was im Islamunterricht passiert, dann sind das die islamischen Religionsgemeinschaften, weil sie noch keine Praxis der regelmäßigen Hospitationen eingeführt haben. Mit Ihrer Überschrift wecken Sie jedoch den Eindruck, die islamischen Religionsgemeinschaften – im Fall Hessen konkret die DITIB – würden im Islamunterricht etwas Verborgenes oder Verheimlichtes umsetzen. Das ist für mich kein fairer Umgang, weder mit dem Thema, noch mit der DITIB.
Das Gutachten würde mich sehr interessieren. Haben Sie die Möglichkeit es mir zur Kenntnis zu geben? So wäre ich in der Lage, die gutachterliche Bewertung im vollen Umfang zu analysieren. Denn bereits die Ausgangssituation erscheint mir problematisch. Auftraggeber des Gutachtens ist offenbar ein Mitglied des Arbeitskreises der christlich-demokratischen Lehrer. Bislang sind muslimisch-demokratische Lehrer nicht auf die Idee gekommen, das Curriculum für den christlichen Religionsunterricht überprüfen zu lassen. Vielleicht wäre das ein erkenntnisreiches Vorhaben. Jedenfalls drängt sich mir der Verdacht auf, dass das Ergebnis des Gutachtens wesentlich von dieser Ausgangslage beeinflusst ist.
Die stets perpetuierte Behauptung, die DITIB stünde unter der Kontrolle der Regierung in Ankara wird durch die hartnäckige Wiederholung dieser Behauptung nicht richtiger. Kennen Sie ein Beispiel, bei der die Arbeit der DITIB Landesverbände oder auch des DITIB Bundesverbandes zum Thema islamischer Religionsunterricht durch eine Weisung aus Ankara beeinflusst worden wäre? Diese ständige unsachliche Markierung der DITIB als heteronom ist die eigentlich gefährliche journalistische Praxis. Sie entbehrt nicht nur tatsächlicher Grundlagen, sondern markiert die DITIB und damit ihre 900 Moscheegemeinden und damit auch jedes Moscheemitglied als fremde Statthalter einer ausländischen Regierung. Das wird nicht nur den Moscheemitgliedern nicht gerecht, die selbständig und eigenbestimmt ehrenamtlich arbeiten. Diese Praxis macht überdies die DITIB, ihre Moscheegemeinden und Mitglieder zum Ziel all jener extremistischen Gruppen, die der Türkei gegenüber feindlich eingestellt sind.
Ich gehe davon aus, dass sie die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei mitverfolgen. Es gibt Konfliktparteien, die Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung praktizieren. Für solche Gruppierungen definieren sie die DITIB und ihre Einrichtungen wider besseren Wissens als Ziel. Ich halte das – angesichts der gewalttätigen Angriffe auf Moscheen in der Vergangenheit auch aus diesem extremistischen Spektrum – für eine unverantwortliche journalistische Praxis. Die Auseinandersetzung mit „problematischen Stellen“ soll nach Auffassung Ihres Gutachters offenbar in der Grundschule beginnen. Die muslimischen Schülerinnen und Schüler – Kinder unter 10 Jahren – sollen also ihre Religion vordergründig als etwas Problematisches und Relativierungsbedürftiges kennenlernen. Ich halte das für einen pädagogisch äußerst fragwürdigen und unseriösen Ansatz. In Frage gestellt wird eine solche Forderung indes nie, wenn es um den Islam geht. Da scheint auch die Indoktrination von Schülerinnen und Schülern, mit der gegen das Sorgerecht der Eltern verstoßen wird, ein legitimes Mittel zu sein, das man auch in einem bundesweit publizierten Medium verbreiten darf.
Bezeichnend ist auch, dass Ihr Gutachter beim Thema der Identitätsfindung einen Gegensatz zwischen islamischem Glauben und der „westlich geprägten Lebenswirklichkeit“ konstruiert. Dieser Gegensatz existiert in der Gedankenwelt kulturhierarchischer „Experten“. Mit der Lebenswirklichkeit unzähliger Muslime in Deutschland hat dieses dichotome Weltbild nicht viel zu tun. Sie beweisen tagtäglich, dass sie deutsch und muslimisch, religiös und in der Mitte der Gesellschaft sein können. Dass man sich an ihrer Sichtbarkeit stört, ist ein anderes Thema und hat weniger mit einem Identitätskonflikt junger Muslime zu tun, als mit der Identitätsverunsicherung und dem Wunsch nach religiös-kultureller Homogenität in weiten Teilen unserer Gesellschaft. Dass Sie als Vertreterin eines bedeutenden Mediums dieser Sehnsucht nach Monokultur das Wort reden, ist kein gutes Zeichen. Sie schreiben von der DITIB als „Behörde“. Sie suggerieren also erneut zu Unrecht und wahrheitswidrig, dass es sich bei der DITIB um eine staatliche Stelle, eine staatliche Einrichtung handele, die Aufgaben der staatlichen Verwaltung erfülle. Also zum zweiten Mal in Ihrem Text markieren Sie die DITIB fälschlicher Weise als fremdstaatliche Einrichtung. Ich finde, dass Sie hier die Grenze zu einer maliziösen Verzerrung deutlich strapazieren. Über die Konsequenzen, die das für 900 Moscheegemeinden und die Menschen dort haben kann, machen Sie sich ganz offensichtlich keine Gedanken. Sie schreiben, es sei „für viele ein Skandal“, dass die DITIB in mehreren Bundesländern Einfluss auf den Religionsunterricht nehme, der Liberal-Islamische Bund oder das Muslimische Forum Deutschland an der Verantwortung des Religionsunterrichts aber nicht beteiligt würden. Dieser Absatz macht mich sprachlos, weil er unter dem Deckmäntelchen der scheinbaren Sorge um den Inhalt des islamischen Religionsunterrichts im Grunde etwas ganz anderes zum Ausdruck bringt.
Die DITIB Landesverbände sind Religionsgemeinschaften im Sinne unseres Grundgesetzes. Die beiden von Ihnen zitierten Gruppierungen sind das ganz deutlich nicht. Die DITIB wird nicht am Religionsunterricht beteiligt, weil sie „Einfluss“ hat, sondern weil sie unsere verfassungsrechtlichen Vorgaben erfüllt. Die von Ihnen zitierten Gruppierungen dürfen sich nicht am Religionsunterricht beteiligen, weil sie schlicht und ergreifend nicht die verfassungsrechtlichen Bedingungen erfüllen. Sie fordern also nichts anderes, als dass für die DITIB Landesverbände das Grundgesetz nicht gelten soll, obwohl sie daraus einen rechtmäßigen Anspruch ableiten dürfen. Gleichzeitig fordern Sie implizit – der vermeintliche Skandal muss ja schnellstens korrigiert werden –, dass Gruppierungen im Widerspruch zu unserem Grundgesetz am Religionsunterricht beteiligt werden sollen, obwohl sie die verfassungsrechtlichen Bedingungen nicht erfüllen.
Das heißt also, dass muslimische Schülerinnen und Schüler im Grunde Bürger zweiter Klasse sind, denen man im Zweifel auch einen grundgesetzwidrigen Religionsunterricht zumuten soll. Und für die DITIB soll das Grundgesetz nicht gelten. Sie propagieren damit eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in welcher der Staat willkürlich oder auf Zuruf des Arbeitskreises christlich-demokratischer Lehrer darüber befinden soll, für wen unsere Grundrechtsordnung gilt und für wen nicht. Dabei stört es Sie auch gar nicht, dass Ihr Gutachter ganz offensichtlich diese Grundrechtsordnung nicht kennt, wenn er davor warnt, den muslimischen Dachverbänden „eine Lehrerlaubnis für den Religionsunterricht zu erteilen und sie den Kirchen gleichzustellen“. Denn nach unserem Grundgesetz haben Religionsgemeinschaften einen Anspruch auf Religionsunterricht. Er wird ihnen nicht vom Staat „erlaubt“. Und auch in diesem Abschluss Ihres Artikels scheint die Ungleichwertigkeit durch, die Sie zusammen mit Ihrem Gutachter bei der Bewertung des Religionsunterrichts anlegen wollen. Die Kirchen sollen dafür verantwortlich sein, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen ihres Glaubens erteilt wird. Den muslimischen Religionsgemeinschaften, insbesondere der DITIB, soll dieser grundgesetzliche Anspruch vorenthalten werden. Der Staat soll also seine grundgesetzlich bestimmte weltanschaulich neutrale Position verlassen und unterscheiden dürfen zwischen guten Religionsgemeinschaften und bösen Religionsgemeinschaften, denen man ihre Grundrechte ruhig verwehren soll.
Dass Sie diese fundamental verfassungswidrige Geisteshaltung im Gewand einer scheinbar aufgeklärten, liberalen Kritik publizistisch verbreiten, ist bei dem ganzen Thema der eigentliche Skandal.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Murat Kayman, Koordinator der Landesverbände, DITIB-Bundesverband
Eine erschreckende Zustandsbeschreibung Gutachter Ourghi noch auf dem Boden des Grundgesetzes? |
Islamischer Religionsunterricht Die Bürde des liberalen Muslim |