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2020-02-28 | Pressemeldung

Kopftuchverbot benachteiligt Musliminnen

Der aktuell veröffentlicht Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14.01.2020 erklärt bedauerlicherweise das Kopftuchverbot als verfassungsgemäß. Das Verwaltungsgericht Frankfurt gab der beschwerdeführenden promovierten Rechtsreferendarin im vorhergehenden Verfahren um das Kopftuch Recht und hielt ein Kopftuchverbot für rechtswidrig. Der hessische Verwaltungsgerichtshof und nun auch das Bundesverfassungsgericht bestätigte mit einer Senatsmehrheit von sieben Richtern das Verbot, allein Richters Maidowski hatte eine abweichende Haltung.

Der Zweite Senat stellt fest, dass die Entscheidung in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte individuelle Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerin eingreift und die Beschwerdeführerin vor die Wahl stellt, entweder die angestrebte Tätigkeit auszuüben oder dem von ihr als verpflichtend angesehenen religiösen Bekleidungsgebot Folge zu leisten. Der Eingriff in die Religionsfreiheit sei laut Entscheidungsbegründung verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Dies sehen wir anders. Wie auch in der (explizit der Entscheidung beigefügten) abweichende Meinung des Richters Maidowski dargestellt, überwiegen die gegen ein solches Verbot sprechenden Belange und ist daher als unverhältnismäßig einzustufen.

Die Beschränkung des Beschlusses für die ins Auge gefassten vier konkreten Ausbildungssituationen (Leitung einer Sitzung, Durchführung einer Beweisaufnahme, staatsanwaltliche Sitzungsvertretung sowie Sitzungsleitung in einem verwaltungsrechtlichen Anhörungsausschuss) erfasst die Dimension des Beschlusses nicht. Vielmehr geht davon eine weitflächig negativ wirkende Leuchtkraft aus.

Denn, so auch Richter Maidowski, die relevanten Rechtsgrundlagen fordern religiös neutrales Verhalten ganz allgemein „im Dienst“, ohne den Anwendungsbereich dieses Gebots auf bestimmte Tätigkeiten zu beschränken.

Außerdem ist die beaufsichtigte Referendarstätigkeit verpflichtender Teil der Ausbildung, und darf eben deshalb nicht uneingeschränkt an Maßstäben gemessen werden, die für eine Rolle gelten, die sie gerade noch nicht einnehmen dürfen. „Richterinnen und Staatsanwältinnen haben sich durch ihren freiwilligen Eintritt in den Justizdienst den dort geltenden Anforderungen unterworfen, während Rechtsreferendarinnen, die ihre Ausbildung zur Volljuristin mit der zweiten Staatsprüfung abschließen möchten, gezwungen sind, den beim Staat monopolisierten Vorbereitungsdienst zu durchlaufen, ohne dass ihnen eine gleichwertige Alternative dazu offen stünde.“

Dass in der Begründung eines Kopftuchverbotes als Neutralitätsverstoß jedoch insbesondere die „christlich und humanistisch geprägte abendländische Tradition des Landes Hessen“ zu berücksichtigen habe, klingt geradezu ironisch.

Eine Bevorzugung insbesondere christlicher (Referendare und) Beamter, die verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre, wird mit der Argumentation auf diese christlich-humanistische Prägung ausgehebelt.

Der Zweite Senat formuliert daher selber: „Der Gesetzgeber mag eine Privilegierung christlicher Bekundungen für möglich gehalten haben, hat die Bestimmung der konkret zulässigen Symbole aber der behördlichen Einzelfallentscheidung überlassen und zu erkennen gegeben, dass er ein Verbot auch von christlichen Symbolen für zulässig erachtet.“ Dass der Gesetzgeber in den ersten Artikeln verankerten geschützten individuellen Freiheiten formulierte, mag eben gegen die Privilegierung allein christlicher Bekundungen gerichtet und den geschichtlichen Erfahrungen geschuldet sein – das hätte ebenso ein starkes Argument in der Urteilsfindung sein können.

Dass im Weiteren in der Argumentation das Kopftuchverbot als Optimierungsmaßnahme des „gesellschaftlichen Vertrauens“ in das Rechtssystem hergeleitet wird, ist abermals erschütternd. Offensichtlich wird die Analogie Kopftuch=Misstrauen als rechtsleitende Begründung bemüht.

Wohltrefflich formulier ist, dass Funktionsfähigkeit voraussetzt, dass gesellschaftliches Vertrauen nicht nur in die einzelne Richterpersönlichkeit, sondern in die Justiz insgesamt existiert. Diese Entscheidung jedenfalls hat dem nicht beigetragen. Sie hat einmal mehr Menschen aufgrund des Religionsbekenntnisses ausgeschlossen, zudem als Misstrauensquelle marginalisiert und als abstrakte Gefahr für die öffentliche Wahrnehmung stigmatisiert.

Eine Frau mit Kopftuch - eine Referendarin, eine Lehrerin, eine Ärztin, eine Politikerin, die Liste könnte beliebig lang sein - bringt zum Ausdruck, dass sie als selbstbewusste und selbstbestimmte praktizierende Muslimin ihrer religiösen Pflicht zum Tragen eines Kopftuchs nachkommt und gleichzeitig im Einklang mit der geltenden Rechts- und Verfassungsordnung mitten in unserer Gesellschaft lebt und arbeitet. Das Bild einer solchen in allen gesellschaftlichen Bereichen aktiven Frau entspricht gerade auch dem islamischen Selbstverständnis.

Eine konkrete Gefährdung kann durch eine kopftuchtragende Frau allenfalls durch ihr Verhalten oder ihre Äußerungen – ebenso wie bei jedem anderen Menschen mit oder ohne religiöse Kleidung oder Motivation auch- gefolgert werden. Für solche Fälle sieht die geltende Rechtsordnung ausreichend wirksame Eingriffsmöglichkeiten vor, ohne dass ein gesetzliches Kopftuchverbot erforderlich wäre.

Es muss Aufgabe einer verantwortungsbewussten Rechtsprechung und Politik sein, ihren Bürgerinnen und Bürgern beispielhaft vorzuleben, dass sie keine muslimische Frau aufgrund ihres Aussehens stigmatisiert und ausgrenzt.

Sie müssen deutlich machen, dass kopftuchtragende Frauen in ihren Berufen, aber auch in Ihrem sonstigen gesellschaftlichen Wirken gleichberechtigt und würdevoll zu behandeln und zu achten sind.

Sie müssen in einer multireligiösen Gesellschaft deutlich machen, dass unterschiedliche religiöse Eigenarten und Merkmale ein selbstverständlicher Ausdruck unseres pluralistischen Zusammenlebens sind und dass unsere Verschiedenheit die Gelegenheit bietet, voneinander zu lernen und sich nicht gegenseitig als Gefahr wahrzunehmen.

Deshalb fordern wir entsprechende Verbotsgesetze aufzuheben und ein deutliches gesellschaftliches Zeichen zu setzen. Wir sind davon überzeugt, dass es in unserer Gesellschaft einen großen Rückhalt für dieses offene und auf gegenseitige Wertschätzung bedachtes Zusammenleben gibt.

Nichts weniger als das Verständnis und die Grundlagen individueller Freiheit, gegenseitigen Respekts und allumfassender Gleichheit werden damit als Grundlagen der Liberalität und des Pluralismus in Frage gestellt und aufgeweicht.