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2013-08-23 | Pressemeldung

NSU-Untersuchungsausschuss: “Historisch beispielloses Behördenversagen"

Köln, 23.08.20113: Der gestern in Berlin vorgestellte „zensierte“ Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses unter Leitung von Sebastian Edathy macht das Ausmaß des Behördenversagens nach 19 Monaten Untersuchung mit einem Umfang von 1357 Seiten deutlich.

Dauer und Umfang zeigen auch, dass vieles im Argen liegt und wesentliche Veränderungen in Gliederung und Arbeitsweise der „Inneren Sicherheit“ und ihrer Organe notwendig sind. Insbesondere in den Denkmustern und Auslassungen von Behören und verantwortlichen Akteuren vor, während und nach Aufdeckung des skandalösen NSU-Debakals zeigen sich bedenkliche Missstände auf.

Gerade in Bezug auf den aktuellen „Zweiten Gemeinsamen Bericht“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt dies auch, wie sehr stereotype Annahmen, Vorurteile und auch Rassismus in Staat, Behörden und Gesellschaft vorhanden sind und schwerwiegende Folgen für Gesellschaft und Individuum haben können.

Prof. Dr. Izzet ER, DITIB-Bundesvorsitzender  und Prof. der Theologie und Religionssoziologie: “Angesichts dieser Entwicklungen und vielen Leiderfahrungen der Migranten und Muslime sind nun alle Akteure und Verantwortlichen der Politik, Parteien, Kirchen und Medien aufgefordert, sich Ihrer Verantwortung zu stellen. Hier sind notwendige Schritte und Maßnahmen zu unternehmen, weil schon allein die Botschaft “Wir, „die Gesellschaft“, sehen euch als Bedrohung“ ausgrenzend und diskriminierend ist. Pauschalisierende Berichterstattung über Migranten und Muslime, defizitorientierte Diskussionen und problemzentrierte Politik haben in den letzten Jahrzehnten verhindert, dass die Öffentlichkeit ein offenes, differenziertes Bild von den Migranten, ihrem Facettenreichtums und ihren religiösen Anschauungen gewinnen konnte.

Eine breite gesellschaftliche Aufklärung ist notwendig, um die menschenfeindlichen Komponenten der Integrationsdebatten und auch Islamkritik gesellschaftlich zu entlarven und nicht als „Kollateralschäden der Meinungsfreiheit“ abzutun.“


So bleiben die Feststellungen und Anforderungen seit Aufdeckung der NSU-Terrorserie (siehe NSU-Dossier des KRM ) mit dem veröffentlichten Bericht fast unverändert stehen:
  1. sämtliche Informationen der breiten Öffentlichkeit unzensiert zugänglich zu machen
  2. sämtliche personellen Direkt-, Quer- und Drittverbindungen aus den Kreisen der Sicherheitsdienste und der Politik zum NSU-Umfeld festzustellen
  3. personelle Konsequenzen aus dem Versagen von Verantwortlichen im Staatsdienst und in der Politik zu ziehen
  4. niemanden im Staatsdienst zu dulden, der sich im rechtspopulistischen oder rechtsextremen Milieu bewegt
  5. Anschläge auf Personen, Gebäude und Einrichtungen im Lichte der Erkenntnisse aus dem NSU-Skandal neu zu bewerten
  6. migranten-, muslim- und islamfeindliche Straftaten in der Kriminalitätsstatistik unter eigener Rubrik zu erfassen, um Ausmaß und Entwicklung dieses Phänomens beziffern zu können
  7. den Opfern der NSU über die Staatstrauerfeier hinaus jährlich zu gedenken, um dem Vergessen entgegenzuwirken
  8. den NSU-Terror als eine Folge der „Blindheit auf dem rechten Auge“ im schulischen Unterricht als Mahnung vor stereotypen Annahmen und Diskriminierungen zu thematisieren
  9. durchgreifende Maßnahmen gegen Diskriminierung und Rassismus zu ergreifen, die eine breite Aufklärung bezüglich Menschen- und Islamfeindlichkeit bewirken
  10. bestehende rechtliche Möglichkeiten zu stärken, damit auch Strafverfolgung ihre Beschränkung  findet, wenn sie diskriminierend oder unangemessen vorgeht. Dazu gehören auch verfassungswidrige und diskriminierende Kontroll- und Durchsuchungspraktiken der Polizei, wie etwa die verdachtsunabhängigen Moscheebesucher-Kontrollen im Land Niedersachsen
  11. professionelle, unabhängige Beratungsstellen und systematisches Beschwerdemanagement zu schaffen, die in Bezug auf Diskriminierungen in verschiedenen Lebensbereichen -angefangen bei den Schulen bis hin zu Ministerien- Hilfestellungen und Lösungsansätze bieten

 

Diese Liste kann und will nicht abschließend sein. Denn so wie sich das Leben und die Gesellschaft stets im Fluss befinden, so sind dies eben auch Bedingungen und Bedürfnisse, Erkenntnisse und deren Gewinn. 

Insbesondere die Politik ist gefordert, Abstand von Äußerungen und Statements zu nehmen, die  geeignet sind Migranten, den Islam und die Muslime unter Generalverdacht zu stellen.

Stigmatisierende Politik und diskriminierende Sicherheitsdiskurse auf Kosten und auf dem Rücken von Minderheiten sind eine gedankenlose Saat, die einen menschenverachtenden Nährboden bereitet. Der NSU-Terror ist der bittere Auswuchs dieser Saat. Denn diese menschenverachtende Saat wirkt nachhaltig und dauerhaft und kumuliert in einem kollektiven Gedächtnis.

Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist angesichts dieser NSU-Mordserie vielen Migranten verloren gegangen oder aber zutiefst erschüttert.

Die Einsetzung und Arbeit des NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat zur Aufklärung wesentlich beigetragen und darin wertvolle Dienste geleistet. Durch die engagierte und aufklärungsorientierte Arbeit ist nun eine Grundlage geschaffen, staatliches Versagen zu benennen und daraus Konsequenzen zu ziehen.



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