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2011-09-23 | Pressemitteilung

Treffen mit Papst Benedikt XVI.

Köln, 23.09.2011: Anlässlich seines offiziellen Besuchs in seinem Heimatland, der von Staat und Bürgern mit großem Interesse verfolgt wird, hielt das geistliche Oberhaupt der Katholischen Kirche, Papst Benedikt XVI., gestern (22. September 2011) eine Rede vor dem Deutschen Bundestag.

In seiner theologisch-philosophischen Rede hob der Papst die Bedeutung der Vernunft und der Religion hervor, die beide wertschöpfend seien für den Menschen. Zudem betonte er die Bedeutung, in allen Beschlüssen und Handlungen - inbegriffen die Gesetzgebung bzw. Rechtsbildung - das Gute vom Bösen unterscheidend mit Gerechtigkeit walten und dem Recht dienen zu können.

Während seines Besuchs leitete der Papst nicht nur einen Gottesdienst mit zehntausenden Gläubigen, sondern kam auch mit Vertretern der Evangelischen Kirche sowie der muslimischen und jüdischen Religionsgemeinschaften zusammen.

Prof. Dr. Ali Dere, Vorsitzender der Türkisch Islamischen Union (DITIB) und des Obersten Religionsrates der DITIB für Deutschland, nahm ebenfalls am Empfang für die muslimischen Vertreter teil. Prof. Dere betonte in seinem Gespräch mit dem Papst “den Bedarf der Welt an einem starken Glauben sowie an einer Werte- und Gewissenserziehung”, und überreichte ihm dabei seine weiteren und detaillierteren Vorstellungen zu dieser Thematik in Form eines offenen Briefes. Dere übergab dem Papst außerdem einige Publikationen und eine Handreichung, die eine Reihe der Probleme und Erwartungen der Muslime in Deutschland und darüber hinaus die Diskurse und Entwicklungen im Bereich des Islam in Deutschland nachzeichnet. 

Diese Handreichung wird der Öffentlichkeit in Kürze als elektronisches Dokument zur Verfügung gestellt.

DITIB-Presseabteilung





Offener Brief an Papst Benedikt XVI


Ehrwürdiger Papst,


wir teilen die Freude unserer Freunde und Bekannten aus der deutschen Öffentlichkeit und aus der Kirche über Ihren Besuch und hoffen, dass Ihre Anwesenheit als geistiges Oberhaupt der Katholischen Kirche einen Beitrag für die weitere Entwicklung gemeinsamen Zusammenlebens in dem de facto religiös und kulturell pluralen Deutschland sein wird. In diesem Sinne tragen Ihre Worte Bedeutung, wie auch bedeutend ist, dass Seine Eminenz mit muslimischen Vertretern zusammenkommt. Hierfür möchte ich Ihnen im Besonderen danken.
 
Der Islam versteht sich selbst wie auch die ihm vorangegangenen Religionen als eine Barmherzigkeit, die den Menschen Wege weist, den Kern der Wahrheit deutet, dem Sein Sinn gibt und von einem unendlichen jenseitigen Leben Kunde gibt. Dass wir noch heute universelle menschliche Werte auf die Lehren dieser Religionen zurückführen können, zeigt, wie zeitlos diese Lehren sind, wie bleibend sie sind und mit welcher Kraft sie den Menschen schützen, das Menschliche bewahren.

 
Der Islam, wie auch andere Offenbarungsreligionen, spricht zum Menschen, nimmt ihn, als Akteur der Geschichte als Adressaten und lehrt ihm nicht nur die Festigkeit im Glauben, sondern auch die ethische Haltung und das moralische Sein in Gesellschaft.

Dies gilt unabhängig davon, wo auf der Welt man sich befindet, folglich auch für die in Deutschland lebenden Muslime. Auf den Punkt gebracht bedeutet moralische Teilhabe an der Gesellschaft, dass rechtens ist und auf der Seite der Gerechten, sie bedeutet Brüderlichkeit, Anerkennung, Solidarität und Näherkommen, sie bildet die Grundlage pluralen Zusammenlebens. Dies lässt sich auch als Beitrag des Islams zu dem Gesellschaftsprozess Integration verstehen. Diese Seite des Islams ist von Seiten der deutschen Öffentlichkeit, besonders aber den öffentlichen Akteuren und Verantwortlichen anzuerkennen.

Aus Perspektive der in Deutschland lebenden Muslime war ihre Religion kein Hindernis für ihre Teilhabe an Bildung, Kunst, Politik und dem gesellschaftlichen Leben im Ganzen. Man muss sich nur bewusst werden über den natürlichen Prozess des heimisch Werdens in einer zweiten Heimat und selbstverständlich entsprechende Vorkehrungen zur Teilhabe und Gleichberechtigung vornehmen.

Insbesondere in einer Zeit, wo Individualität als Konsum verstanden wird, wo Konkurrenzdenken verbreitet auftritt und Fairness zur Ausnahme wird, wo Entfremdung zur Normalität geworden ist, bedürfen wir umso mehr einem Bewusstwerden des Menschen über sich selbst und über seine Mitmenschen.

Eine Voraussetzung dafür ist auch, dass Religionen sich den Menschen besser erklären, dass sie über ihre eigenen Theologietraditionen hinauswachsend des gegenwärtigen Wissens- und Erfahrungsschatzes gewahr werden, ihn nutzen, sich öffnen für konstruktive Kritik und dass diese Haltung sich spiegelt im Handeln religiöser Institutionen und der dortigen Geistlichen und Religionsbeauftragten.

Natürlich müssen wir sehen, dass jede Religion eine eigene Vorstellung von Wahrheit hat, allein schon um an diesem Punkt nicht in Konkurrenzdenken zu verfallen, da dies für die Religionen eine Verweltlichung, ja ein Missbrauch bedeuten würde.

Religionen müssen sich emphatisch begegnen, plurales religiöses Leben ist als Normalität zu verstehen.

Natürlich werden Fachleute über Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer Religionen reden, gleichzeitig gibt es aber ein weites Feld für die gemeinsame Arbeit um die Botschaft der Barmherzigkeit und Liebe an die Menschen zu tragen. Wenn wir die Menschen bewegen können, ihre Umwelt mit einsichtigen barmherzigen Augen zu betrachten, wenn wir unsere Vernunft und unser Gewissen im Guten brauchen, so sind das wichtige religiöse und weltliche Mahnungen für die Menschen und wichtige Schritte für ein Zusammenleben.

Welche Religion auch immer, bedarf eine solche Aufgabe, dass sich die Religionen fern halten von weltlichen Interessen, von Politik und Ideologie. Religion kann in keiner Weise als Legitimation für Unterdrückung, Gewalt, Terror, Diskriminierung, religiöser und ethnischer Ausgrenzung, Missachtung der Menschenrechte fungieren.

Damit die Menschen in ihrem Gewissen die Stimme der Religionen hören, damit sie ihren Glauben und ihre Überzeugungen leben können, damit sie für ihre Handlungen verantwortlich bleiben, bleibt Religionsfreiheit ein universelles unantastbares Grundrecht. Deswegen ist es unsere gemeinsame Aufgabe, sie überall zu fordern und an Orten und zu Zeiten, da religiöse Pluralität missachtet wird, sie einzufordern. Wir müssen wissen, dass Religionsfreiheit und die Gleichstellung auch in ihrer institutionellen Umsetzung unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklungsstufe eines Landes ist. Auch in entwickelten Staaten kommt es vor, dass Migranten sich in ihrer Religiosität schwer zu Wort bringen und dass sie Hindernissen begegnen in der Institutionalisierung ihrer Religiosität. Auch die Muslime in Deutschland haben diesbezüglich einige Probleme. Eine entsprechende Informationsschrift möchte ich Ihnen überreichen.

Im Groben kann man diese Probleme bezeichnen als interne und externe Fragen einer Religionsgemeinschaft, im besonderen umfassen sie Wirtschaft und Organisationsform, Institutionalisierung von religiösem Wissen und religiöser Dienstleistung, aber auch autoritäres Handeln externer öffentlicher Institutionen und Einrichtungen. Dabei ist, um mit dem Koran zu sprechen „die Religion in Gottes Hand“, Religion ist, mit Gott in Berührung zu kommen. Auch das zeitgenössische Verständnis von Religionsfreiheit überlässt diesen Bereich der Religion und dem einzelnen Gläubigen.

Aus diesen Prinzipien heraus wird verständlich, dass die primären Entscheidungsbefugten in Sachen muslimischer Religiosität in Deutschland die in Deutschland lebenden Muslime selbst sind, sowie ihre Religionsbeauftragten und muslimische religiöse Autoritäten im In- und Ausland. Wird diesen jedoch die Freiheit dazu nicht gelassen, so entsteht ein Druck, der auch dieser menschlichen Grundfreiheit schädlich ist.

Der Glaube an Gott, das Gedenken Seiner, das Erkennen Seiner in der Schöpfung, das Hören auf Sein Wort wird unsere Gewissen bewahren vor Ungerechtigkeit und wird uns erkennen lassen, dass wir eine ähnliche Vorstellung von Schöpfung, eine gemeinsame Schöpfungsgeschichte, ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein dem Leben gegenüber und eine gemeinsame Vorstellung vom Leben nach dem Tode und der dortigen Verantwortung haben.

Diese Einstellung wird selbst für diejenigen eine Vorkehrung sein, die in kleineren Maßstäben denken und handeln, sie wird eine Hoffnung für die Menschen. Dass Gott den Menschen erschaffen hat, zeigt, dass er ihm Verantwortung gegeben hat und Hoffnung um ihn hegt. Wer Gottesbewusstsein hat, wer ein Bewusstsein über die Gnaden Gottes hat, wird so selbst zur Quelle der Hoffnung, sodass die Gabe Gottes an die Menschen durch die Hände anderer Menschen erfolgen kann und zu einer Hoffnung für uns alle wird... So spricht der Koran, dass Gott uns alle als Verantwortliche füreinander „zum Frieden und zur Ruhe einlädt“.

Deswegen müssen wir alle Kinder der Hoffnung, des Friedens, der inneren Ruhe sein.

Ehrwürdiger Papst Benedikt,
ein zweites Mal möchte ich meine Freude über Euren Besuch Ausdruck geben. Ich hoffe dass Ihr Ruf zur Hoffnung ein Ruf für Deutschland und für alle in Deutschland lebenden sein wird.

Mit ausgezeichneter Hochachtung
 

Prof. Dr. Ali Dere
Vorsitzender der DITIB

Berlin, 23.09.2011


  Download: Offener Brief 

  Download: Handreichung - DITIB Türkisch-Islamische Union

  Download: Handreichung - Hosgeldiniz Willkommen